AchtsamkeitsNews 2/2016 | Entschleunigung ist Beschleunigung
Entschleunigung ist Beschleunigung – dafür hab ich einfach keine Zeit…
Erkenntnis aus dem Leben eines jungen Trainers
Man sollte meinen als Trainer und Berater ist man Profi in den Themen, die man vermittelt. Wir entwickeln täglich Seminare, Workshops, Maßnahmen – didaktisch durchdachte Konzepte, um Menschen in Selbsterfahrung zu zeigen, wie Achtsamkeit, Resilienz das Leben und den Arbeitsalltag freudvoller gestalten, entlasten und intrinsisch motivieren.
Wir experimentieren ständig im eigenen Team mit neuen Ansätzen, Ideen und Methoden und praktizieren Achtsamkeit im Arbeitsalltag.
Die morgendliche Besprechung starten wir mit einer kurzen Entspannungsübung, wir gönnen uns einmal pro Stunde eine kurze Auszeit und lehnen uns zurück, wir beschließen den Tag mit dem Blick auf das Positive, das was gut gelaufen ist, Spass und Freude gemacht hat.
Man könnte meinen es läuft perfekt. Das Paradebeispiel für achtsames Arbeiten und Miteinander im Unternehmen…
Und doch… auch wir geraten von Zeit zu Zeit in diese Falle:
Es ist 13:28. Ich sitze vertieft an einer Aufgabe, die unbedingt heute noch fertig werden muss. Pardon… ich meine die Aufgabe ist wichtig, sie sollte noch fertig werden. Rechts neben mir auf dem Schreibtisch liegt meine To-Do-Liste, links der Aktenstapel, die heutigen Aufgaben. Beides zusammen bildet mein persönliches Schreibtisch-Paradoxon.
Die Aufgabe, die ich gerade bearbeite ist Prio 1, Kundensache. Eigentlich hab ich das schon tausendmal gemacht, aber heute läuft nichts… außer die Zeit… die läuft mir davon und ich werde immer nervöser und verzweifelter, weil ich kein Land sehe.
Plötzlich reißt mich ein Geräusch aus meiner Verzweiflung „Goooooooooong“, mein Handy, das mich an das stündliche Zurücklehnen erinnert. Ich denke: „Oh man, ich werde nie fertig. Pause? – Jetzt nicht!“ und ignoriere mein Handy.
Das Schreibtisch-Paradoxon beginnt seine Wirkung zu zeigen:
Je mehr ich mich anstrenge, desto zäher wird die Aufgabe. Wie das Schwimmen in Sirup.
Gleichzeitig wird die To-Do-Liste rechts neben mir immer länger. Ich betrachte das mit wachsender Sorge und dem Gedanken „Man, das schaffe ich nie!“. Um mich abzulenken blicke ich nach links. Der Aktenstapel erscheint mir wie der Turm zu Babel errichtet auf der Spitze des Mount Everest. „Ach du Schande, wie soll ich das alles schaffen… und dann auch noch Pausen machen… dazu hab‘ ich doch gar keine Zeit!“…
Und schwupp, an dieser Stelle bin auch ich in die Zeit-Falle getappt. Denn eigentlich weiß ich, dass ich mir in dem Moment, indem ich nervös werde eine Pause gönnen sollte.
Oft genug habe ich die Erfahrung gemacht Entschleunigung ist Beschleunigung.
Wenn ich mir meine Pausen nehme, regeneriere ich Energie, frischer Wind kommt in mein Denken und die Aufgaben erledige ich schneller. Unter'm Strich bin ich mit Pausen schneller und effektiver. Wenn ich versuche in Sirup den neuen 50-Meter-Rekord für Brustschwimmen aufzustellen ist das Ergebnis eher mäßig attraktiv.
Doch das „Schneller, schneller, schneller!!!“-Denken bricht auch bei mir immer wieder durch und treibt mich in die Zeit-Falle.
Meine Erkenntnis: Gerade in getakteten und vollen Zeitplänen ist es wichtig, achtsame Rituale mit Konsequenz einzuhalten. Sie halten den Blick weit, die Energie immer wieder hoch und helfen dabei nicht in die zähe Alltagstrance abzurutschen.
Ein Tipp der mir hilft: Konsequenz funktioniert besonders gut, wenn das Team füreinander einsteht, sich gegenseitig ermutigt und erinnert. Das trägt zur achtsamen Unternehmenskultur bei.
Mir helfen zum Beispiel, Kollegen, die mich auf dem Weg irgendwohin kurz in meinem Büro besuchen. Ihre kleinen, nicht tadelnden, sondern neckischen Bemerkungen sind für mich der Punkt an dem ich erkennen kann, in welchem Kreis ich mich gerade drehe. Die Kommentare sind wie das Schlagloch auf der Schnellstraße auf der ich immer schneller entlangrase. Es rüttelt mich wach, bringt mich dazu bewusst darüber nachzudenken, was ich hier gerade tue. "Wir achten aufeinander." ist das Thema.
Beitrag von Hans-Florian Dettweiler.
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